Der Wirkstoff Metamizol-Natrium, kurz Metamizol, auch unter den Bezeichnungen Dipyron oder Novaminsulfon bekannt, ist ein nicht-opioides Analgetikum aus der Gruppe der Phenazone. Neben der analgetischen Wirkung besitzt der Wirkstoff auch antipyretische und spasmolytische Eigenschaften.
Metamizol nicht überall am Markt
Metamizol ist in der Regel gut verträglich, allerdings sind neben dem Auftreten schwerer Hautreaktionen wie dem Stevens-Johnson-Syndrom und Leberschäden auch die Entwicklung einer Agranulozytose mit einer Anwendung des Wirkstoffs assoziiert [1]. Vor allem das Agranulozytoserisiko scheint der Hauptgrund zu sein, warum Metamizol nicht überall in der Welt erhältlich ist: So fehlt der Wirkstoff in einigen großen Arzneimittelmärkten wie den USA, Japan, Australien oder Indien. In Europa gibt es ebenfalls Länder, in denen Metamizol überhaupt nicht verfügbar ist (z. B. Frankreich, Großbritannien, Griechenland oder im skandinavischen Bereich). In vielen europäischen Ländern ist Metamizol rezeptpflichtig (z. B. Deutschland, Spanien, Italien und auch Österreich), in einigen Staaten, vor allem im ost- und südosteuropäischen Raum, ist Metamizol hingegen sogar ohne ärztliche Verschreibung erhältlich (z. B. Polen, Rumänien, Türkei) [2].
EMA-Verfahren gestartet
In Finnland hat vor Kurzem der Anbieter des einzigen metamizolhaltigen Arzneimittels freiwillig auf die Zulassung verzichtet, wodurch auch dort der Wirkstoff hinkünftig nicht mehr verfügbar sein wird. Hintergrund war das in Finnland trotz kürzlich erfolgter Verschärfung von Sicherheitsmaßnahmen nach wie vor häufige Auftreten von Agranulozytosen. Dies hat auch die finnische Arzneimittelbehörde dazu bewogen, die europäische Zulassungsbehörde EMA (European Medicines Agency) zu kontaktieren und um eine Untersuchung des Sachverhalts zu initiieren. Dieses sogenannte Referral fand Mitte 2024 statt. Ziel des Verfahrens war, die Häufigkeit des Auftretens von Agranulozytose bei der Anwendung von Metamizol zu ermitteln und aufbauend darauf Maßnahmen abzuleiten, um die Sicherheit der Therapie mit Metamizol zu gewährleisten bzw. zu erhöhen [3]. Der zuständige Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) bei der EMA sieht weiterhin ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis, hat aber in seiner Empfehlung im Wesentlichen folgende Maßnahmen zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit formuliert:
Die Warnhinweise zum Agranulozytoserisiko in Fach- und Gebrauchsinformation (Beipackzettel) sollten aktualisiert werden (z.B. Hinweis auf Agranulozytose auch noch kurz nach der Behandlung).
Für verordnende Ärztinnen und Ärzte aber auch andere Gesundheitsdiensteanbieter wie Apothekerinnen und Apotheker sollte Patientinnen und Patienten gegenüber eine Aufklärungspflicht zu den Symptomen einer Agranulozytose und das sofortige Absetzen beim Auftreten dieser bestehen.
Metamizol sollte nicht bei Patientinnen und Patienten angewendet werden, die ein erhöhtes Agranulozytoserisiko aufweisen (z. B. eine Agranulozytose in der Vergangenheit) oder aufgrund anderer Umstände empfänglich für eine Agranulozytose sein könnten (z. B. aufgrund von Erkrankungen des blutbildenden Systems).
Die Empfehlungen wurden von der Koordinierungsgruppe für gegenseitige Anerkennung und dezentralisierte Verfahren – Humanmedizin (CMDh), in der Repräsentanten der nationalen Arzneimittelbehörden vertreten sind, geprüft. Die formale Anordnung der Maßnahmen erfolgte durch die Europäische Kommission im Dezember 2024 [4]. Die Umsetzung erfolgt nun im Zuständigkeitsbereich der nationalen Arzneimittelbehörden, in Österreich ist das das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG), das auch schon eine entsprechende Sicherheitskommunikation (Rote-Hand-Brief) unter anderem an Ärzte- und Apothekerkammern ausgeschickt hat [5]. Nach wie vor gibt es auch im EKO bei den metamizolhältigen Präparaten entsprechende Hinweise zum Agranulozytoserisiko.
Wissenswertes zur Agranulozytose
Bei der Agranulozytose handelt es sich um eine schwere Form der Neutropenie, die durch eine Reduktion von Granulozyten auf unter 500/µl Blut gekennzeichnet ist. Das Auftreten ist generell sehr selten, der Großteil der Fälle ist arzneimittelbedingt, wobei neben Metamizol auch andere Wirkstoffe (z. B. Clozapin, Sulfasalazin, Rituximab) mit einem erhöhten Agranulozytoserisiko assoziiert sind, eine additive Risikoerhöhung ist nicht ausgeschlossen [6, 7].
Für die Häufigkeit einer Agranulozytose im Zusammenhang mit einer Anwendung von Metamizol gibt es stark variierende Angaben, die von 1,1 Fälle pro 1 Mio. Metamizol-Anwendenden und Woche bis hin zu 1 Fall pro 1.429 Metamizol-Verordnungen reichen [2].
Prinzipiell kann eine Agranulozytose jederzeit unter einer Metamizoltherapie auftreten, jedoch ist ein Auftreten in den ersten Tagen und Wochen nach Therapiebeginn wahrscheinlicher: 11 % bereits nach der ersten oder zweiten Anwendung, rund ein Drittel innerhalb der ersten Woche, zwei Drittel während der ersten sechs Wochen. Der Median des Auftretens liegt bei ungefähr 13 Tagen. Ein nicht unerheblicher Teil der Fälle (ca. 15–25 %) verläuft tödlich [6].
Eine Agranulozytose verläuft zunächst in der Regel asymptomatisch. Kommt es allerdings zu einer Infektion, sind folgende Symptome typisch:
Verschlechterung des Allgemeinbefindens
Fieber
Schüttelfrost
Entzündungen und schmerzhafte Wunden im Bereich der Schleimhäute (vor allem im Bereich von Mund, Nase und Rachen sowie im Anal- und Genitalbereich)
Angina tonsillaris mit Halsschmerzen und Schluckbeschwerden
Es ist zu beachten, dass die Symptome im Falle einer gleichzeitigen antibiotischen Therapie auch verschleiert werden können. Auch bei Metamizolanwendung gegen Fieber können einige Symptome nicht wahrgenommen werden [6].
Beim Verdacht auf eine Agranulozytose ist Metamizol sofort abzusetzen und das Blutbild solange zu kontrollieren, bis wieder eine Normalisierung eintritt – mit dem Absetzen darf nicht gewartet werden, bis Laborergebnisse vorliegen. Daher müssen behandelnde Ärztinnen und Ärzte auf Anzeichen einer Agranulozytose achten, regelmäßige Blutuntersuchungen bei längerfristiger Therapie durchführen sowie eine Aufklärung der Patientinnen und Patienten über die Symptome vornehmen und darauf hinweisen, dass beim Auftreten von Anzeichen einer Agranulozytose unverzüglich ärztlicher Rat einzuholen ist [1].
Situation in Österreich
In Österreich sind sowohl das Originalpräparat Novalgin als auch die meisten Nachfolgepräparate nur zur kurzfristigen Behandlung von akuten starken Schmerzen nach Verletzungen oder Operationen, Koliken, Tumorschmerzen, sonstigen akuten oder chronischen starken Schmerzen, soweit andere therapeutische Maßnahmen nicht indiziert sind oder hohem Fieber, das auf andere Maßnahmen nicht anspricht, indiziert [1]. Bei einigen Präparaten fehlt der Hinweis auf die kurzfristige Anwendung, dies hat vor allem regulatorische Gründe, weil es sich dabei um bezugnehmende Zulassungen mit Referenzstaaten wie der Tschechischen Republik oder Ungarn handelt, in denen der Einsatz von Metamizol bisher weniger streng reglementiert ist.
Metamizol erfreut sich in Österreich trotz des Nebenwirkungsrisikos nach wie vor steigender Beliebtheit. Dies liegt auch an der Verfügbarkeit kostengünstiger Nachfolgepräparate im Erstattungskodex in den unterschiedlichsten Darreichungsformen (Filmtabletten/Tabletten, Tropfen, Ampullen) und Packungsgrößen (siehe Tabelle 1). Erst mit Oktober 2024 wurden Filmtabletten in der Wirkstoffstärke 1.000 mg in den Erstattungskodex aufgenommen.
Tabelle 1: Im EKO gelistete Darreichungsformen und Packungsgrößen mit dem Wirkstoff Metamizol-Natrium, Reichweite bei täglicher Anwendung der DDD (3 g) sowie Kostenspektrum pro 500 mg. Quellen: Erstattungskodex, Stand 01/2025 [8], eigene Berechnungen.
Aktuelle Auswertungen zeigen, dass seit 2014 ein Anstieg von Metamizol-Verordnungen auf Kosten der Sozialversicherungsträger von rund 5,8 Mio. DDD (DDD = defined daily dose – definierte Tagesdosis, für Metamizol-Natrium beträgt die DDD 3 g [9]) auf zuletzt rund 19,1 Mio. DDD zu verzeichnen ist (siehe Abbildung 1), wobei hierbei Packungen unterhalb der Rezeptgebühr nur im Falle einer Rezeptgebührenbefreiung inkludiert sind. Auch über Privatrezepte erworbene Packungen sind nicht enthalten, das heißt, die tatsächliche Verordnungsmenge könnte noch deutlich höher liegen.
Abbildung 1: Verordnungen von Metamizol-Natrium auf Kosten der SV-Träger in Österreich in definierten Tagesdosen (DDD) von 2014–2023. Quelle: BIG.
Diese Entwicklung deutet darauf hin, dass Metamizol verstärkt auch für langfristige Behandlungen eingesetzt wird. Dies zeigt auch das Verordnungsprofil (siehe Abbildung 2), da immer häufiger auch größere Packungen abgerechnet werden, z.B. kam 2023 am häufigsten die 100-Stück-Packung mit Tabletten bzw. Filmtabletten zum Einsatz.
Abbildung 2: Verordnete Packungen verschiedener Darreichungsformen und Packungsgrößen mit Metamizol-Natrium auf Kosten der SV-Träger in Österreich von 2014–2023. Quelle: BIG.
Fazit
Der verstärkte Einsatz von Metamizol in der Schmerztherapie sollte mit einer verstärkten Aufmerksamkeit bezüglich des Auftretens einer potenziell lebensbedrohlichen Agranulozytose einhergehen. Patientinnen und Patienten müssen mit den Symptomen dieser Nebenwirkung vertraut gemacht werden, um vorbereitet zu sein, die Metamizolanwendung im Falle eines Auftretens sofort zu beenden und ärztlichen Rat einzuholen. Personen, die ein erhöhtes Risiko für das Auftreten einer Agranulozytose aufweisen, sollten nicht mit Metamizol behandelt werden. Auch das Risiko für das Auftreten schwerer Hautreaktionen und für Leberschäden unter Metamizol sollte bei der Therapieentscheidung berücksichtigt werden.
Generell sind auch bei der Verordnung des Wirkstoffs Metamizol kostengünstige Nachfolgepräparate zu bevorzugen. Die Vielzahl an Darreichungsformen (Filmtabletten/Tabletten, Tropfen, Ampullen) und Packungsgrößen im Erstattungskodex ermöglichen eine Anpassung an den vorgesehenen Anwendungszweck und die Anwendungsdauer.
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