Vor der Corona-Pandemie waren in Österreich die Verordnungszahlen für Antibiotika rückläufig. Unser Artikel beleuchtet die Entwicklungen während und nach der Pandemie und zeigt Detailanalysen zu Trends im Verordnungsspektrum. Ein weiterer Schwerpunkt sind die Fluorchinolone, deren Einsatz aufgrund schwerer Nebenwirkungen in den letzten Jahren immer stärker eingeschränkt wurde.
Trendwende bei Antibiotikaverordnungen?
Im Vergleich zu 2015 befinden sich Antibiotikaverordnungen zur oralen Anwendung in Österreich heute auf einem niedrigeren Niveau (siehe Abbildung 1). 2015 wurden österreichweit noch mehr als 5,5 Mio. Packungen auf Kosten der Krankenversicherungsträger verordnet, 2023 lag dieser Wert bei nur noch rund 4,5 Mio. Packungen, was einem Rückgang von mehr als 18 % entspricht. Ein absoluter Tiefstwert wurde 2021 während der Corona-Pandemie mit nur rund 3,5 Mio. verordneten Packungen erzielt, in der – verursacht durch die diversesten Maßnahmen (Maskenpflicht, Social Distancing usw.) – auch absolut weniger Infektionskrankheiten verzeichnet wurden. Nach dem Ende der Pandemie steigen seit 2022 die Verordnungszahlen allerdings wieder. Teilweise lässt sich dies mit dem Wegfall der Corona-Maßnahmen und mit dem Bevölkerungswachstum in Österreich erklären, allerdings stiegen die Verordnungen 2023 stärker als die Einwohnerzahl. Deutlich wird das in der Anzahl der durchschnittlich verordneten Packungen pro 1.000 Personen (siehe Abbildung 2) und dies könnte den Beginn einer Trendwende markieren.
Abbildung 1: Antibiotikaverordnungen (abgerechnete Packungen) in Österreich sowie ausgewählte Verordnungsanteile von Antibiotikagruppen 2015–2023 (Datenquelle: BIG).
Abbildung 2: Durchschnittliche Anzahl von verordneten Antibiotikapackungen pro 1.000 Personen in Österreich 2015–2023 (Datenquellen: BIG, Statistik Austria [1, 2]).
Verordnungsspektrum
Nach wie vor sind Penicilline die verordnungsstärkste Gruppe innerhalb der Antibiotika (siehe Abbildung 1). Ihr Anteil ist sogar stark gestiegen: 2023 entfielen rund 53,0 % der verordneten Packungen auf diese Wirkstoffgruppe (2015: 38,8 %). Leichte Rückgänge gab es bei den Makroliden auf Platz 2 (2023: 22,9 %, 2015: 27,1 %), mit nur leichtem Minus lagen die anderen Betalactam-Antibiotika (Cephalosporine, Carbapeneme und Monobactame) an dritter Stelle (2023: 10,7 %, 2015: 12,3 %). Dahinter folgten mit 5,8 % Verordnungsanteil die Chinolon-Antibiotika mit deutlichen Rückgängen (2015: 11,6 %). Die anderen Wirkstoffgruppen zeigten 2023 jeweils nur Anteile unter 5 %.
Rückgang bei Chinolonen
Der Rückgang bei den Chinolon-Antibiotika, die die in Österreich erhältlichen Fluorchinolone Ciprofloxacin, Delafloxacin, Levofloxacin, Moxifloxacin, Norfloxacin, Ofloxacin und Prulifloxacin umfassen, ist zum Teil auf die 2019 von der EMA im Rahmen eines Stufenplans veranlassten Anwendungsbeschränkungen (siehe Kasten) zurückzuführen.
Fluorchinolon-Antibiotika sind mit sehr seltenen, schwerwiegenden, die Lebensqualität beeinträchtigenden, langanhaltenden und potenziell irreversiblen Nebenwirkungen assoziiert, welche vor allem Sehnen, Muskeln, Gelenke und das Nervensystem betreffen. Sehnenschäden wie Tendinitis oder Sehnenruptur betreffen insbesondere die Achillessehne, aber auch andere Sehnen, und können bereits innerhalb von 48 Stunden nach Beginn der Behandlung mit einem Fluorchinolon auftreten. Die Schäden können sich jedoch auch erst mehrere Monate nach Beendigung der Behandlung entwickeln. Des Weiteren kann es zu Arthralgie, Schmerzen in den Extremitäten, Gangstörungen, Neuropathien mit Parästhesien, Depressionen, Fatigue, Gedächtnisstörungen, eingeschränktem Erinnerungsvermögen, Halluzinationen, Schlafstörungen, Beeinträchtigung des Gehörs, Sehstörungen sowie einer Beeinträchtigung des Geschmacks- und Geruchssinns kommen.
Aufgrund dieser schwerwiegenden und möglicherweise dauerhaften Nebenwirkungen startete im Jahr 2018 eine EU-weite Überprüfung zur Risikobewertung der Nebenwirkungen von Chinolon- und Fluorchinolon-Antibiotika durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA). Die Überprüfung betraf Arzneimittel, die systemisch (oral oder als Injektion) verabreicht werden sowie Arzneimittel zur Inhalation [3].
Infolge dieser Überprüfung wurde die Anwendung von systemisch und inhalativ angewendeten Fluorchinolonen im Jahr 2019 signifikant beschränkt [4].
Folgende Einschränkungen sind aktuell bei der Anwendung von Fluorchinolonen zu beachten [5]:
- systemisch und inhalativ angewendete Fluorchinolon-Antibiotika sollten NICHT verordnet werden
- bei nicht schweren oder selbstlimitierenden Infektionen (z. B. Pharyngitis, akuter Bronchitis)
- bei leichten bis mittelschweren bakteriellen Infektionen (z.B. unkomplizierter Zystitis, akuter Exazerbation einer COPD, akuter Otitis media), es sei denn, andere Antibiotika, die üblicherweise für die Behandlung dieser Infektionen empfohlen werden, können nicht angewendet werden
- bei nicht-bakteriellen Infektionen, z. B. nicht-bakterieller (chronischer) Prostatitis
- zur Prävention von Reisediarrhoe oder rezidivierenden Infektionen der unteren Harnwege
- für Patientinnen und Patienten, bei denen in der Vergangenheit schwerwiegende Nebenwirkungen mit einem Fluorchinolon- oder Chinolon-Antibiotikum aufgetreten sind
- bei älteren Personen, Patientinnen und Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion, Personen mit Organtransplantaten sowie bei Patientinnen und Patienten, die gleichzeitig mit Corticosteroiden behandelt werden, sollten Fluorchinolone mit besonderer Vorsicht angewendet werden, da bei diesen Personen das Risiko von Sehnenschäden erhöht ist
- auch bei Patientinnen und Patienten mit einem erhöhten Risiko für Aortenaneurysmen/-dissektionen oder für eine Herzklappenregurgitation/-insuffizienz sollten systemisch und inhalativ angewendete Fluorchinolone nur nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung unter Berücksichtigung anderer Therapieoptionen angewendet werden
Wichtig ist in jedem Fall, Patientinnen und Patienten ausführlich über das Risiko dieser schwerwiegenden Nebenwirkungen aufzuklären und ihnen zu raten, bei den ersten Anzeichen dieser Nebenwirkungen umgehend Kontakt mit der behandelnden Ärztin bzw. dem behandelnden Arzt aufzunehmen, bevor die Behandlung fortgesetzt wird.
Obwohl im Laufe der letzten Jahre mehrmals Rote-Hand-Briefe bezüglich der Anwendungsbeschränkungen von Fluorchinolonen ausgesendet [5–8] und die Fachinformationen von Fluorchinolonen mehrmals aktualisiert wurden, deuten aktuelle Studiendaten darauf hin, dass noch immer Optimierungspotenzial bezüglich des Einsatzes dieser Wirkstoffgruppe besteht: In einer von der EMA beauftragten und rezent veröffentlichten Studie wurden die Daten zur Verordnung fluorchinolonhaltiger Arzneimittel in sechs europäischen Ländern (Belgien, Frankreich, Deutschland, Vereinigtes Königreich, Niederlande, Spanien) zwischen 2016 und 2021 untersucht [9, 10].
Es zeigte sich, dass die EU-weiten Maßnahmen zur Reduzierung der Anwendung von Fluorchinolonen außerhalb der Empfehlungen – wenn überhaupt – lediglich einen moderaten Effekt hatten, und Antibiotika dieser Klasse möglicherweise weiterhin außerhalb der Empfehlungen angewendet werden, hauptsächlich bei Atemwegsinfekten, unkomplizierten Harnwegsinfekten und Infektionen des Ohrs. Lediglich im Vereinigten Königreich und möglicherweise in Deutschland gab es leichte Rückgänge in den Verordnungszahlen ab dem Jahr 2019, die auf die gesetzten Maßnahmen zurückzuführen sein könnten. Da dieser Rückgang in den Verordnungszahlen jedoch bereits vor Implementierung der Maßnahmen zu beobachten war, ist anzunehmen, dass auch andere Faktoren dafür verantwortlich waren, beispielsweise Antibiotic Stewardship oder Änderungen in den nationalen Leitlinien.
Bei der detaillierten Betrachtung der Verordnungsanteile von Chinolon-Antibiotika an allen Antibiotika in Österreich (siehe Abbildung 3), fällt auf, dass der Anteil von Fluorchinolonen seit 2015 kontinuierlich sinkt und daher diese Wirkstoffgruppe von Jahr zu Jahr im Vergleich zu allen Antibiotika verhältnismäßig weniger zum Einsatz kommt: Von 2015 bis 2018 sank der Anteil eher moderat (von 11,6 % auf 10,1 %), von 2018 auf 2019 – dem Jahr, in dem die Einschränkungen schlagend wurden – wies der Verordnungsanteil dann einen deutlichen Rückgang auf 7,2 % auf, um in den Folgejahren noch weiter zu sinken (mit einem minimalen Anstieg auf 7,3 % im ersten „Corona-Jahr“ 2020), zuletzt auf 5,8 % im Jahr 2023.
Abbildung 3: Verordnungsanteile von Chinolon-Antibiotika an allen Antibiotika in Österreich 2015–2023 (Datenquelle: BIG).
Diese Daten deuten darauf hin, dass die 2019 gesetzten Maßnahmen wesentlich dazu beigetragen haben könnten, dass in Österreich bedeutend weniger Fluorchinolone verschrieben wurden. Auch hier fällt auf, dass die Verordnungshäufigkeit bereits vor Beginn der Maßnahmen rückläufig war.
Für Österreich besteht jedoch analog zu den in der EMA-Studie untersuchten Ländern weiterhin die Vermutung, dass noch immer ein Potenzial zur weiteren Reduktion von Fluorchinolon-Verordnungen vorhanden ist, sodass bei konsequenter Einhaltung der EMA-Empfehlungen in den kommenden Jahren mit einer weiter sinkenden Verordnungshäufigkeit zu rechnen ist.
Rationaler Antibiotikaeinsatz
Bei der Verordnung von Antibiotika sollten folgende Grundsätze berücksichtigt werden, um die fortschreitende Resistenzentwicklung hintanzuhalten, das Risiko für Neben- und Wechselwirkungen bei Patientinnen und Patienten zu verringern sowie Auswirkungen auf die Umwelt (beispielsweise durch Rückstände im Abwasser) und nicht zuletzt auch unnötige Kosten für das Gesundheitssystem zu vermeiden:
- Antibiotika sollten nur eingesetzt werden, wenn ein klarer Nutzen erwartet werden kann.
- Wenn ein Antibiotikum zum Einsatz kommt, soll ein dem wahrscheinlichsten Erregerspektrum entsprechendes Mittel verwendet werden. Das Wirkspektrum des Antibiotikums sollte dabei so breit wie nötig und so schmal wie möglich sein. Lokale Resistenzdaten sollen dabei berücksichtigt werden.
- Die Darreichungsform und die Dosierung des Antibiotikums soll nach patientenindividuellen Merkmalen gewählt werden.
- Die Therapiedauer sollte so lang wie nötig und so kurz wie möglich sein, da eine zu kurze Anwendung den Therapieerfolg gefährdet, während eine zu lange Antibiotikaeinnahme die Entwicklung von Resistenzen begünstigt.
Lieferschwierigkeiten bei Antibiotika
Ein weiterer Grund für die sorgsame Anwendung von Antibiotika sind häufigere Verfügbarkeitsprobleme bei Arzneimitteln, die auch vor potenziell lebensrettenden Wirkstoffen wie Antibiotika nicht Halt machen. Zu den Antibiotika, die in Österreich im Jahr 2023 vorübergehend oder längerfristig nicht oder nur eingeschränkt verfügbar waren, gehören u.a. Amoxicillin als Monopräparat oder in Kombination mit Clavulansäure, Phenoxymethylpenicillin, Cefixim, Cefalexin, Ceftriaxon, Cefaclor, Azithromycin, Clarithromycin, Clindamycin und Cotrimoxazol (Sulfamethoxazol + Trimethoprim) [11]. Da nicht immer alle Anbieter bzw. alle verfügbaren Darreichungsformen betroffen waren, konnte die Versorgung in vielen Fällen dennoch ermöglicht werden. Teilweise konnten in Apotheken kindgerechte Darreichungsformen und Kapseln mit den Wirkstoffen, die besonders von Engpässen betroffen waren, auch im Zuge der magistralen Herstellung angefertigt werden, was durch eine pragmatische Regelung zwischen Bundesgesundheitsministerium, Sozialversicherungsträgern und Österreichischer Apothekerkammer ermöglicht wurde.
Fazit
Der Trend sinkender Antibiotikaverordnungen in Österreich hat sich nach der Corona-Pandemie nicht fortgesetzt. Es bleibt abzuwarten, ob es sich bei den leichten Anstiegen in den letzten beiden Jahren tatsächlich um eine Trendumkehr handelt. Der rationale Einsatz von Antibiotika bleibt auch in Zukunft insbesondere vor dem Hintergrund der Zunahme von Resistenzen wichtig. Im Bereich der Fluorchinolone scheint auch noch ein gewisses Optimierungspotenzial vorhanden zu sein – diese Wirkstoffe sollten nur unter Berücksichtigung der Warnhinweise und nur nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung im Einzelfall verschrieben werden. Aufgrund der anhaltenden Lieferengpässe sollten die verfügbaren Mengen bei den Patientinnen und Patienten eingesetzt werden, für die eine Antibiotikatherapie alternativlos ist.
Literatur
[1] Statistik Austria. StatCube: Bevölkerungszahlen gemäß Bevölkerungsfortschreibung der Statistik Austria. Abrufbar unter: statcube.at/statistik.at/ext/statcube/jsf/dataCatalogueExplorer.xhtml.
[2] Slepecki P und Pohl P. Zukünftige Bevölkerungsentwicklung Österreichs und der Bundesländer 2023 bis 2080 (2100). Neudurchrechnung der Prognosegeneration 2022. Statistische Nachrichten 2024;(04):82–105.
[3] European Medicines Agency. Referral: Quinolone- and fluoroquinolone-containing medicinal products. Abrufbar unter: www.ema.europa.eu/en/medicines/human/referrals/quinolone-fluoroquinolone-containing-medicinal-products.
[4] European Medicines Agency. Disabling and potentially permanent side effects lead to suspension or restrictions of quinolone and fluoroquinolone antibiotics, 11.03.2019. Abrufbar unter: www.ema.europa.eu/en/documents/referral/quinolone-fluoroquinolone-article-31-referral-disabling-potentially-permanent-side-effects-lead_en.pdf.
[5] Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen. Wichtige Information des Bundesamtes für Sicherheit im Gesundheitswesen über die Anwendungsbeschränkungen bei systemisch und inhalativ angewendeten Fluorchinolonen (Rote-Hand-Brief), 15.06.2023. Abrufbar unter: www.basg.gv.at/fileadmin/redakteure/06_Gesundheitsberufe/DHPC/2023/230615_Fluorchinolone.pdf.
[6] Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen. Wichtige Information des Bundesamtes für Sicherheit im Gesundheitswesen über das Risiko für Aortenaneurysma und -dissektion in Zusammenhang mit systemisch und inhalativ angewendeten Fluorchinolonen (Rote-Hand-Brief), 05.11.2018. Abrufbar unter: www.basg.gv.at/fileadmin/redakteure/06_Gesundheitsberufe/DHPC/2018/181105_Fluorchinolone.pdf.
[7] Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen. Wichtige Information des Bundesamtes für Sicherheit im Gesundheitswesen über das Risiko von die Lebensqualität beeinträchtigenden, lang anhaltenden und möglicherweise irreversiblen Nebenwirkungen – Anwendungsbeschränkungen bei systemisch und inhalativ angewendeten Chinolon- und Fluorchinolonen (Rote-Hand-Brief), 09.04.2019. Abrufbar unter: www.basg.gv.at/fileadmin/redakteure/06_Gesundheitsberufe/DHPC/2019/190409_Fluorchinolone.pdf.pdf.
[8] Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen. Wichtige Information des Bundesamtes für Sicherheit im Gesundheitswesen über das Risiko für eine Herzklappenregurgitation /-insuffizienz bei systemisch und inhalativ angewendeten Fluorchinolonen (Rote-Hand-Brief), 03.11.2020. Abrufbar unter: www.basg.gv.at/fileadmin/redakteure/06_Gesundheitsberufe/DHPC/2020/201103_Fluorchinolone.pdf.
[9] Ly NF und Lysen TS. Study of impact of EU label changes for fluoroquinolone containing medicinal products for systemic and inhalation use – post-referral prescribing trends. Final Study Report V3.0. Abrufbar unter: catalogues.ema.europa.eu/sites/default/files/document_files/Final_Report_Fluoro.pdf.
[10] Ly NF, Flach C, Lysen TS et al. Impact of European Union Label Changes for Fluoroquinolone-Containing Medicinal Products for Systemic and Inhalation Use: Post-Referral Prescribing Trends. Drug Saf 2023;46:405–16.
[11] Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen. Liste der Meldungen zu Vertriebseinschränkungen von Arzneispezialitäten. Abrufbar unter: medicineshortage.basg.gv.at/vertriebseinschraenkungen/faces/adf.task-flow?_id=main-btf&_document=WEB-INF/main-btf.xml&_afrWindowId=null.