Frau Ferreiro, Herr Dr. Luf, Sie sind als Diätologin bzw. als Anästhesist und Intensivmediziner im Hanusch-Krankenhaus in Wien tätig. Zudem zeichnen Sie sich seit Herbst 2023 für das Ernährungsteam im Haus verantwortlich. Was macht Ihre Arbeit im Kern aus?

Ferreiro: Ernährung wird im Hanusch-Krankenhaus als grundlegender Bestandteil der Gesundheitsversorgung verstanden. Wir haben als multidisziplinäres Ernährungsteam das Ziel, auf wissenschaftlicher Basis Standards für die medizinische Ernährungstherapie und das Stoffwechsel-Management der Patientinnen und Patienten zu erarbeiten.

Luf: Daran arbeiten wir aber natürlich nicht allein, je nach Thema und Projekt werden Kolleginnen und Kollegen verschiedener Fachrichtungen und Berufsgruppen zugezogen.

Die Ernährung von Patientinnen und Patienten rund um eine Operation erfährt immer mehr Aufmerksamkeit. Ihr Pilotprojekt soll zukünftig als Standard etabliert werden. Warum ist eine abgestimmte Ernährung wichtig?

Luf: Rund ein Viertel der Patientinnen und Patienten im Krankenhaus sind mangelernährt. Der Ernährungszustand hat Auswirkungen auf die Komplikationsrate, die Genesungszeit sowie die Wundheilung und beeinflusst damit langfristig die Lebensqualität. Da viele Operationen heute auf längere Sicht geplant sind, ist es uns möglich, Mangelernährung schon frühzeitig zu erkennen und wenn nötig gegenzusteuern.

Ferreiro: Wir screenen unsere Patientinnen und Patienten bereits bei ihrem Erstkontakt in den Ambulanzen anhand eines kurzen Fragebogens auf Mangelernährung. Dabei wird beispielsweise nach Appetitverlust, Gewichtsabnahme oder Verdauungsproblemen gefragt. Im Anschluss erhalten die Personen Empfehlungen für die Ernährung vor der Operation.

Wie sehen solche Empfehlungen für Patientinnen und Patienten konkret aus?

Ferreiro: Je nach identifiziertem Ernährungsproblem wird beispielsweise die Ernährung hinsichtlich optimierter Eiweißaufnahme oder Mahlzeitenfrequenz angepasst. Darüber hinaus erhalten manche Patientinnen und Patienten unmittelbar vor der Operation ein glukosehaltiges Getränk. Mit diesem „Carbo-Loading“ werden sie für die oft sehr belastende Operation vorbereitet. Das sorgt dafür, dass der Körper während und nach der Operation weniger auf eigene Energiereserven zurückgreifen muss und somit weniger Stress ausgesetzt ist.

Luf: Nach der Operation wird sowohl auf der Intensivstation als auch nach dem Transfer auf die Normalstationen zunehmend multidisziplinär auf eine adäquate Ernährungstherapie geachtet. Dazu arbeiten Ärztinnen und Ärzte, Diätologie, Pflege und Spitalsküche eng zusammen. Am Ende des Krankenhausaufenthaltes ist eine Ernährungsberatung für zu Hause vorgesehen und bei Bedarf werden die Beratungen ambulant fortgesetzt. Die genannten Maßnahmen werden vom Ernährungsteam laufend evaluiert, weiterentwickelt und adaptiert.

Wie viele Patientinnen und Patienten nehmen das Angebot einer präoperativen Ernährungsberatung in Anspruch?

Luf: Es wurden im Rahmen des Pilotprojektes im 1. Halbjahr 2024 86 Patientinnen und Patienten vor definierten Eingriffen gescreent. Davon haben 46 % ein Risiko für Mangelernährung aufgezeigt. Fast alle dieser Patientinnen und Patienten haben das Angebot einer präoperativen Ernährungsberatung in Anspruch genommen.

Ferreiro: Natürlich gehört die postoperative Versorgung genauso zu unserem ganzheitlichen Projekt dazu. Diese obliegt jedoch nicht mehr der alleinigen Entscheidung der Patientin oder des Patienten, sondern das medizinische Personal entscheidet über die Notwendigkeit. Grundsätzlich hat die postoperative Beratung eine bessere Akzeptanz in der Ernährungstherapie. Von vielen Patientinnen und Patienten wird diese bereits erwartet.

Welchen Herausforderungen stellen Sie sich in Ihrer täglichen Arbeit?

Ferreiro: Neue Prozesse in einem Krankenhaus zu etablieren, stellt im Rahmen der klinischen Routine eine große Herausforderung dar. Insbesondere, wenn mehrere Disziplinen und Berufsgruppen involviert sind. Sobald erste Erfolge sichtbar sind und sich die neuen Abläufe etabliert haben, steigt die Akzeptanz. Als Ernährungsteam ist es unsere Aufgabe, den Überblick über diverse Prozesse zu behalten und diese nach Machbarkeit im Spannungsfeld zwischen Leitlinien und gangbarer Praxis bewerten und zu verändern. Das Um und Auf ist die Aufklärungsarbeit und Schulung von Mitarbeitenden.

Luf: Unsere Arbeit basiert auf den aktuellen wissenschaftlichen Empfehlungen der Fachgesellschaften. Es ist auch unsere Aufgabe, Kolleginnen und Kollegen diesbezüglich zu schulen. Beispielsweise haben wir im Februar 2024 eine Fortbildungsveranstaltung mit hochkarätigen Vortragenden im Hanusch-Krankenhaus organisiert – für internes als auch externes medizinisches Personal. Für die Turnusärztinnen und Turnusärzte des Hanusch-Krankenhauses wird es zudem ab diesem Jahr routinemäßig Fortbildungen von uns über Basics zur klinischen Ernährung und metabolischem Management geben.


Welche Erfolge konnten Sie bereits erzielen?

Ferreiro: Ein großer Erfolg ist, dass unsere Patientinnen und Patienten das Angebot dankend annehmen. Oft gelingt präoperativ eine Gewichtszunahme bzw. eine Verbesserung des Allgemeinzustandes. Wir bekommen die Rückmeldung, dass sich unsere Patientinnen und Patienten so gut auf den Eingriff vorbereitet fühlen und oft weniger Angst haben.

Luf: Wir haben es geschafft, eine durchgängige Betreuung der Patientinnen und Patienten zu ermöglichen. Die Begleitung über Schnittstellen hinaus funktioniert gut: Angefangen von der postoperativen Betreuung auf der Intensivstation über die Verlegung auf die Normalstation bis hin zur Entlassung. Durch das Etablieren von Standards haben wir es zudem geschafft, negative Effekte, die eine zu frühzeitige künstliche Ernährung auf die Genesung hat, zu minimieren.