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Mehrere Tätigkeiten für eine Dienstgeberin bzw. einen Dienstgeber

Stand: 01.01.2024


Verrichtet eine Dienstnehmerin bzw. ein Dienstnehmer mehrere, nicht immer eindeutig voneinander trennbare Tätigkeiten für eine Dienstgeberin bzw. einen Dienstgeber, ist die Beurteilung aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht nicht immer einfach. Mit der Frage, ob es sich bei solchen Konstellationen um ein Dienstverhältnis oder mehrere Dienstverhältnisse gemäß § 4 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG) handelt, hat sich der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) bereits mehrmals auseinandergesetzt. Beispielhaft widmen wir uns einigen Praxisfällen und den dazu ergangenen Erkenntnissen des VwGH.

Fall 1: Tischler tritt auch als Verkäufer auf

Ein Dienstnehmer vereinbarte mit seinem Dienstgeber, neben seiner Tätigkeit als Tischler auch verschiedene Produkte der Tischlerei Kundinnen und Kunden anzubieten und zu verkaufen. Dafür erhielt er getrennt von seinem Gehalt Provisionen für jeden vermittelten Verkauf auf Basis eines diesbezüglich abgeschlossenen Werkvertrages. Auf der Website des Dienstgebers wurde er als Teil von dessen "Team" und als Kundenberater auch bildlich dargestellt.

Weiters war der Dienstgeber damit einverstanden bzw. daran interessiert, dass der Tischler während seiner Arbeitszeit von potentiellen Kundinnen und Kunden erreicht werden konnte. Zudem warb der Tischler nicht nur Neukundinnen und Neukunden an, sondern er vermittelte auch an bestehende Kundinnen und Kunden Zubehör, Pflegemittel und sonstige Accessoires.

Das Erkenntnis des VwGH (02.04.2008, 2005/08/0132):
Nach Ansicht des VwGH konnten die beiden Tätigkeiten als Tischler und Verkäufer "schon allein auf Grund der zeitlichen, aber auch auf Grund der inhaltlichen Verschränkung der Vermittlungstätigkeit mit dem Dienstverhältnis nicht getrennt beurteilt werden“.

[…] "Gestattet der Dienstgeber einem Dienstnehmer – abweichend von bestehenden dienstvertraglichen Regelungen – (mit dem Dienstverhältnis selbst in innerem Zusammenhang stehende) Aktivitäten nicht nur außerhalb seiner Arbeitszeit, sondern auch innerhalb derselben, liegt eine zeitliche und inhaltliche Verschränkung […] vor. Dabei genügt es nach der Rechtsprechung für die Annahme einer zeitlichen und inhaltlichen Verschränkung, wenn der Dienstnehmer einen zwar nicht abschätzbaren, aber jedenfalls nicht bloß geringfügigen Teil seiner Dienstzeit […] mit Zustimmung des Dienstgebers für eine Tätigkeit verwendet, die vom selben Dienstgeber durch Zahlung von Provisionen zusätzlich honoriert wird."

Im konkreten Fall waren somit die Provisionen, die der Tischler dafür erhielt, dass er in seiner Freizeit den Verkauf von Einrichtungsgegenständen vermittelte, von seiner herkömmlichen Tätigkeit als Tischler nicht zu trennen und daher der Beitragspflicht nach dem ASVG zu unterziehen.

Fall 2: Vermittlung von Bausparverträgen durch Bankangestellte

Eine ähnliche Entscheidung hat der VwGH im Fall der Vermittlung von Bausparverträgen durch Sparkassenangestellte getroffen. Auch in diesem Fall sah der VwGH eine zeitliche (Vermittlungstätigkeit innerhalb der Arbeitszeit) und inhaltliche (Leistungsinteresse des Dienstgebers an der Vermittlung) Verschränkung zwischen dem abhängigen Arbeitsverhältnis und der Vermittlungstätigkeit und stellte daher das Vorliegen eines einheitlichen Vertragsverhältnisses (abhängiges Arbeitsverhältnis) fest. (VwGH 13.06.1995, 94/08/0107)

Entgelte, die eine Dienstnehmerin bzw. ein Dienstnehmer demnach aus zwei nicht trennbaren Tätigkeiten im Betrieb von der selben Dienstgeberin bzw. vom selben Dienstgeber erhält, sind zu addieren. Es sind also nicht zwei sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse gemäß § 4 Abs. 2 ASVG zur selben Dienstgeberin bzw. zum selben Dienstgeber möglich. (VwGH 28.04.1988, 87/08/0032)

Fall 3: Angestellte ist auch als selbständige Buchhalterin tätig

Frau P. war als Kanzlei- und Verwaltungsangestellte beim Dienstgeber S. als Dienstnehmerin unselbständig beschäftigt. Zusätzlich erledigte sie auch selbständig Buchhaltungsarbeiten für den Dienstgeber S. Diese Tätigkeiten hat Frau P. auch teilweise zu Hause, auf dem auf eigene Kosten angeschafften PC, durchgeführt. Für diese Buchhaltungsarbeiten wurde ein eigener Werkvertrag abgeschlossen. 

Nach Ansicht des Dienstgebers bzw. Auftraggebers S. war die Tätigkeit von Frau P. nach dem Gesamtbild "zweigeteilt". Nach Ansicht der zuständigen Behörde lag jedoch ein einheitliches Rechtsverhältnis und zwar ein Dienstverhältnis im Sinne des § 47 Abs. 2 Einkommensteuergesetz 1988 (und damit zusammenhängend ein sozialversicherungsrechtliches Dienstverhältnis gemäß § 4 Abs. 2 letzter Satz ASVG) vor.

Das Erkenntnis des VwGH (29.02.2012, 2008/13/0087):
"Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass ein und dieselbe Person ein und derselben anderen Person im gleichen Zeitraum sowohl als Arbeitnehmerin als auch als selbständig Erwerbstätige gegenübertritt. […] Es muss sich vielmehr die als selbständig zu beurteilende Tätigkeit des Arbeitnehmers deutlich von der gegenüber dem Arbeitgeber sonst erbrachten Leistungen abheben und für sich allein zumindest überwiegend die Merkmale einer selbständigen Tätigkeit aufweisen."

Der VwGH stützte sein Erkenntnis auch auf die unstrittige Feststellung, "dass die von Frau P. zu Hause durchgeführten Arbeiten mit dem Arbeitsablauf in der Kanzlei des Dienstgebers S. koordiniert gewesen seien und der Dienstgeber S. die Arbeiten mit Frau P. auch vorher besprochen habe. Damit lag aber eine Eingliederung in den geschäftlichen Organismus des Dienstgebers S. vor, wobei Frau P. auch unter dessen Leitung tätig wurde. Dass Arbeiten im Rahmen eines Dienstverhältnisses teilweise auch zu Hause (auch unter Nutzung eigener Betriebsmittel, etwa eines PC) ausgeführt werden, ist eine im Wirtschaftsleben nicht unübliche Gestaltungsweise und spricht für sich noch nicht gegen das Vorliegen einer nichtselbständigen Tätigkeit. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf die – unstrittige – Feststellung im angefochtenen Bescheid, wonach Frau P. gegenüber der Dienstnehmerin B. erklärt habe, ihre zu Hause ausgeübte Tätigkeit habe sich von derjenigen der übrigen Angestellten (nur) dadurch unterschieden, dass sie im Rahmen eines ‚Werkvertrages‘ stattgefunden habe. Eine in der Beschwerde (Anm.: durch den Dienstgeber S.) angesprochene Entlohnung nach geleisteten Arbeitsstunden bringt auch noch nicht zum Ausdruck, dass ein bestimmter Arbeitserfolg und nicht nur die Zurverfügungstellung der Arbeitskraft geschuldet wird.

Ob laut Beschwerde der Wille der Vertragsparteien auf den Abschluss eines Werkvertrages gerichtet gewesen sei, war nicht maßgeblich, weil es […] zur Einstufung der Leistungsbeziehung auf das tatsächliche verwirklichte Gesamtbild der Tätigkeit ankam. Ebenso kann es in Bezug auf die konkret in Rede stehende Leistungsbeziehung dahingestellt bleiben, ob oder inwieweit Frau P. auch noch für andere Personen Buchhaltungsarbeiten verrichtet haben sollte.“

Insgesamt war daher für den VwGH auch nicht erkennbar, "weshalb in Bezug auf die von Frau P. für den Dienstgeber S. in Heimarbeit ausgeübte Tätigkeit vom Überwiegen der Merkmale einer selbständigen Tätigkeit ausgegangen werden könnte."

Die Feststellung der Behörde erfolgte daher zu Recht, dass der Beschäftigung ein einheitliches Rechtsverhältnis zu Grunde liegt.

Dienstverhältnis und Werkvertrag sind möglich

Allerdings schließt der VwGH das Nebeneinanderbestehen eines abhängigen Dienstverhältnisses und eines Werkvertragsverhältnisses zu einer Dienstgeberin bzw. einem Dienstgeber nicht aus.

Erbringt eine Dienstnehmerin bzw. ein Dienstnehmer daher zusätzlich zu ihrem bzw. seinem Dienstverhältnis nach § 4 Abs. 2 ASVG eine weitere, völlig getrennte und andersartige Tätigkeit auf Grund eines separaten freien Dienstvertrages oder Werkvertrages und besteht zwischen den Tätigkeiten kein Zusammenhang, stellen beide Tätigkeiten aus Sicht der Sozialversicherung keine Einheit dar und sind somit getrennt zu behandeln.

"Für die Bejahung einer rechtswirksamen Trennung" mehrerer gleichzeitig bestehender Rechtsverhältnisse zu einem Arbeitgeber „kommt es somit entscheidend auf den Parteiwillen, die objektive Trennbarkeit und auf Überlegungen unter dem Gesichtspunkt arbeitsrechtlicher Schutzprinzipien an“. (VwGH 17.12.2002, 99/08/0047)